Streuobst in Hofheim
Die meisten Tierarten der Streuobstbestände gehören zu den Insekten. Doch auch viele Vögel und Säugetiere fühlen sich hier wohl. Insgesamt sind bis zu 5.000 Tier- und Pflanzenarten in Streuobstgebieten zuhause: darunter Gartenschläfer, Spechte, Fledermäuse oder der Steinkauz sowie Gräser und Wildkräuter. Damit zählen die Streuobstflächen zu den artenreichsten Kulturlandschaften Deutschlands und leisten einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der biologischen Vielfalt.
Viele dieser Arten sind stark gefährdet oder sogar vom Aussterben bedroht und stehen auf der Hessen-Liste. Das bedeutet, dass Hessen eine besondere Verantwortung trägt, diese Arten zu schützen und zu erhalten.
Mangelnde Wertschätzung und Pflege sowie fehlendes Wissen über die wertvollen Flächen führen zur Vernachlässigung dieses besonderen Lebensraums. So gibt es heute rund 20 Prozent weniger Streuobstflächen als noch vor 20 Jahren. Viele der noch bestehenden Streuobstbestände sind mittlerweile stark veraltet. Um weiter bestehen zu können, sind sie auf Pflege angewiesen – dazu zählen Neupflanzungen, Baumschnitte und eine regelmäßige Mahd oder Beweidung der Wiesen durch Nutztiere. Zudem besteht die Gefahr, dass Streuobstbestände zu Gunsten von Bauland gerodet wird.
Vorderheide II: Klage gewonnen - Streuobst gerettet
Am 15. Dezember 2021 erklärte der Verwaltungsgerichtshof Kassel (VGH Kassel) den Bebauungsplan „Vorderheide II“ der Stadt Hofheim am Taunus für „unwirksam“. Das Urteil des VGH Kassel ist durch Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig vom 21.12.2022 über die nicht Zulassung der Revision rechtskräftig geworden.
Damit hatte der Landesverband Hessen des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) einen der größten Streuobstbestände im Main-Taunus-Kreis vor der Vernichtung gerettet und die nicht mehr zeitgemäße Ausweisung als Baugebiet verhindert. Darüber hinaus stellt das Gericht fest und schrieb in seinem Urteil: Die Fläche und der angrenzende Naturraum Bauerlöcher Wiesen gehört in Hessen zu den zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebieten zum Schutz des Gartenrotschwanzes, weshalb er als Vogelschutzgebiet auszuweisen ist. Die Auffassung des Gerichts ist eindeutig: Das Land Hessen muss den Planungsraum zum Vogelschutzgebiet machen.
Mittlerweile unterstützt die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Hofheim durch einen mehrheitlichen Beschluss vom 15.02.2023 die Ausweisung zum Vogelschutzgebiet. Im Beschlusstext heißt es: „Die Ausweisung des Vogelschutzgebietes soll die Fortentwicklung des Gebiets Vorderheide/Bauerlöcher Wiesen zu einem Gebiet für Naturschutz und stille Erholung unterstützen.“
Das ist ein großartiger Erfolg für die umfangreichen Anstrengungen des BUND Hessen zur Verhinderung einer Bebauung der 11,3 Hektar großen Fläche am Waldrand, der seinesgleichen sucht.
Zehnjähriges Klageverfahren
Die Klage gegen den Bebauungsplan „Vorderheide II“ war die erste Klage des BUND Hessen dieser Art. Gegen einen Bebauungsplan zu klagen, wurde möglich, weil das Klagerecht unter dem Druck der Europäischen Union auch in Deutschland erweitert wurde.
Ziel der Klage war der Schutz der gesetzlich geschützten Streuobstfläche mit ihrem Artenreichtum und ihrer Naherholungsfunktion.
Außerdem wollte der BUND zeigen, dass Streuobstobstwiesen nicht als billiges Bauland zur Verfügung stehen und dass ihre Überplanung mit erheblichen rechtlichen Risiken behaftet ist.
Beide Klageziele wurden vollständig erreicht. Das ist eine ungewöhnlich positive Bilanz.
Die zehnjährige Dauer des Klageverfahrens zeigt eindrucksvoll, wie schwierig Erfolge in juristischen Auseinandersetzungen zu erzielen sind. Ohne detaillierte fachliche Gutachten ist das kaum möglich. Gutachten sind jedoch kostenintensiv und gutachtende Fachleute müssen betreut werden. Deshalb sind solche Verbandsklagen immer auch mit hohen finanziellen Aufwendungen und großem Zeitaufwand verbunden.
Dankbar war der BUND daher für die fortwährende Hilfestellung des bereits 2009 gegründeten Vereins „Lebenswertes Hofheim“. In ihm hatten sich Hofheimer Bürgerinnen und Bürger zusammengeschlossen, um die Naturzerstörung abzuwehren und den BUND bei der Klage zu unterstützen.
Bedeutung für den Artenschutz
Die Vorderheide selbst ist eine ungewöhnlich artenreiche Streuobstfläche. Die Gutachter der Stadt Hofheim ermittelten 69 Vogel-, 12 Fledermaus-, 10 Säugetier- und 3 Reptilienarten. Nicht untersucht wurde die Vielfalt der Insekten und anderer Kleintiere.
Über die Artenvielfalt bestand zu Beginn des Klageverfahrens noch große Unkenntnis. Die entsprechende Stellungnahme des BUND löste zunächst keine Nachbesserungen aus – ein Ärgernis, das viele BUND-Aktive kennen. Erst als der BUND im Klageverfahren herausarbeitete, dass die Bestandsaufnahmen unzureichend waren, wurden weitergehende Gutachten beauftragt, die dann die ökologische Bedeutung des Gebietes belegten.
Aufsehen erregte insbesondere der Fund eines Wochenstubenquartiers der seltenen Bechsteinfledermaus in einem alten Obstbaum. Um einem Scheitern der Planung vorzubeugen, ließ die Stadt die Betroffenheit dieser Art nun intensiv untersuchen. Dabei wurde mindestens eine Wochenstubenkolonie gefunden, eine zweite konnte nicht ausgeschlossen werden. Obwohl Bechsteinfledermäuse als Tiere mit enger Bindung an den Lebensraum Wald gelten, jagen sie im Hochsommer verstärkt in Streuobstflächen. Genau diese zeitliche Phase hatten die städtischen Gutachter jedoch weitgehend ausgeblendet. Intensiv gestritten wurde deshalb auch darüber, ob die Bebauung die benachbarte Wochenstubenkolonie beeinträchtigen würde.
Unstrittig war hingegen, dass die Bebauung zu einer erheblichen Störung für eine Kolonie von Zwergfledermäusen führen würde, die ihre Jungen alljährlich u.a. unter dem Dach eines Wohnhauses am Rande des Streuobstes aufzieht. Das Gericht stimmte dem BUND zu, dass diese Beeinträchtigung von der Planung nicht geheilt würde. Ein weiterer Grund, warum der B- Plan scheiterte.
Noch einmal zum Gartenrotschwanz: Der BUND hatte sich auf die Bestandsaufnahmen der Stadt gestützt. Danach lebten im maßgeblichen Naturraum von rund 90 Hektar 23 Brutpaare und die „bei jeder denkbaren Betrachtungsweise hohe Brutpaardichte“ belegte bereits die herausgehobene Bedeutung des fraglichen Naturraums für den Gartenrotschwanz.
Zur Einstufung als faktisches Vogelschutzgebiet genügte diese Aussage jedoch erst in Verbindung mit der gerichtlichen Feststellung, dass Hessen für diese Zugvogelart bisher nicht genügend Vogelschutzgebiete ausgewiesen hatte, um das selbstgesteckte Ziel zu erreichen, mindestens 20 Prozent der Population damit zu schützen.
In faktischen Vogelschutzgebieten besteht nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) eine Veränderungssperre. Diese Veränderungssperre kann nur das Land Hessen, vertreten durch das Regierungspräsidium Darmstadt, durch die Ausweisung eines förmlichen Vogelschutzgebietes aufheben.
Das umfangreiche Urteil zeigt sehr deutlich, dass viel Detailarbeit nötig war, um diesen Rechtsfehler aufzuzeigen und dass eine vergleichbare Rechtsprechung für andere Gebiete nicht zu erwarten ist.
Was macht Streuobst zu etwas Besonderem?
Die UNESCO hat 2021 Streuobstanbau als immaterielles Kulturerbe aufgenommen und damit klargestellt, dass die Biodiversität auf den Streuobstflächen ein elementarer Bestandteil ist. Streuobstwiesen waren früher weit verbreitet. Im Zuge der Intensivierung der Landwirtschaft wurden die typisch breiten Abstände zwischen den einzelnen Bäumen, die früher der mehrfachen Nutzung dienten, unrentabel. Es breitete sich der Trend zu Monokulturen aus, die bei weitem nicht mehr die Artenvielfalt beherbergen, die frühere Bestände bieten konnten. Meistens leider auch unter Einsatz von Pestiziden, um eine wirtschaftlich bessere Nutzung zu erhalten.
Herkömmliche Streuobstwiesen sind heute rar geworden, was das Land Hessen und den Main-Taunus-Kreis dazu anregte, Streuobstoffensiven zu starten und den Erhalt und Ausbau der wenigen vorhandenen Flächen zu fördern.
Mangelnde Wertschätzung und Pflege sowie fehlendes Wissen über die wertvollen Flächen führen zur Vernachlässigung dieses besonderen Lebensraums. So gibt es heute rund 20 Prozent weniger Streuobstflächen als noch vor 20 Jahren. Viele der noch bestehenden Streuobstbestände sind mittlerweile stark veraltet. Um weiter bestehen zu können, sind sie auf Pflege angewiesen – dazu zählen Neupflanzungen, Baumschnitte und eine regelmäßige Mahd oder Beweidung der Wiesen durch Nutztiere. Zudem besteht weiterhin die Gefahr, dass Streuobstbestände zugunsten von Bauland gerodet werden.